Die Redebeiträge zur Umzugsdemonstration am 28. September 2013:
Beitrag #1 (Auf dem Weg zum Prosumenten)
Beitrag #2
Auf dem Weg zum Prosumenten
Heute lebt jeder zweite Weltbürger in der Stadt.
Zu Recht haben die Städter hohe Erwartungen an die Lebensqualität ihrer Wohn- und Arbeitsorte. Städte müssen auch für künftige Generationen attraktiv und lebenswert sein. Grundlage dafür bildet nicht allein die bauliche Infrastruktur, sondern ebenso ein vielfältiges Angebot an innerstädtischen Grün- und Erholungsräumen für alle Altersgruppen. Das städtische Grün bildet einen wesentlichen Bestandteil unserer Daseinsvorsorge.
Heute werden 75 Prozent der natürlichen Ressourcen unseres Planeten in Städten verbraucht. Mit dieser Dimension vor Augen fühlt man sich zunehmend unwohl. Nicht allein um der Tatsache willen, WIE Ressourcen verbraucht und Lebensmittel heute produziert werden. Martin Rasper verweist darauf, wie arbeitsteilig unser Alltag geworden ist: Wir sind nicht mehr in der Lage, unser Radio zu reparieren, weil es nur noch aus einem Mini-Chip in einem Plastikgehäuse besteht, geschweige denn, die Nahrungsmittel für unsere Versorgung selbst zu produzieren. Uns ist durchaus bewusst, dass wir viel zu sehr abhängig sind von fossilen Brennstoffen und monopolisierten Warenströmen, die sie anfällig für Krisen macht. Sie müssen sich zwangsläufig verändern. Bei diesem Wandel wird die Versorgung mit Lebensmitteln – und demzufolge die urbane Landwirtschaft – eine zentrale Rolle spielen.
Es geht um die Teilhabe an diesen Prozessen. Menschen wollen wieder in den Produktionskreislauf eingreifen, wieder Säen und Ernten und sich das verlorengegangene Wissen um Kulturtechniken wieder aneignen. Dies mag Erklärung dafür sein, dass in den zurückliegenden Jahren unterschiedliche Wege in Richtung Selbstversorgung beschritten wurden. Beispiele dafür sind die solidarische Feldwirtschaft in Stünz, die Gemüse-Koop „Rote Beete“ in Sehlis, die urbanen Gärten AnnaLinde in Plagwitz oder eben Querbeet im Leipziger Osten. Bei alldem geht es nicht um ein simples „Zurück zur Natur“ – die Intensionen der neuen Gärtner sind vielfältig. Sie reichen von dem Bedürfnis, sich gesund zu ernähren über die Absicht, eine urbane Restfläche naturnah zu gestalten bis hin zu dem Wunsch, Gleichgesinnten in der Nachbarschaft zu begegnen. Nicht zuletzt erhebt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit die Kommune (Die Stadt Leipzig) ihre Flächen zur Verfügung stellen soll. Eine auf Nachhaltigkeit fokussierte Planung städtischer Freiräume gehört zu einer zukunftsorientierten Stadtentwicklungspolitik!
Studien belegen, dass sozial benachteiligte Personengruppen oftmals auch von hohen Umweltbelastungen betroffen sind, oftmals in Quartieren, die über wenig Frei- bzw. Grünflächen verfügen. Aber Umwelt kann nur erfahren werden in Räumen, in denen Umwelt vorhanden ist! Ein Kind kann sich mit der Natur, mit dem Kreislauf von Säen und Ernten nur vertraut machen, wenn es Zugang dazu erhält. Das Lernen beruht auf dem SelberMACHEN: Anfassen, Riechen, Schmecken und Begegnen. Querbeet ist nicht nur ein Garten, sondern auch ein Lernort und eine Anlaufstelle, ein Ort der Vernetzung. Der Garten trägt dazu bei, dass das Wissen um die Produktion von Lebensmitteln wieder Teil des städtischen Lebens wird.
Beitrag 2
Liebe Zuhörer_Innen,
mit unserem Umzug wollen wir Gärtner_Innen uns von unserem Brachflächen-Garten in der Hermann-Liebmann Straße 17-19 verabschieden. Sicher haben einige von Ihnen/ Euch uns schon besucht, andere hören zum 1. Mal von dem Projekt. Das Projekt fand seinen Anfang auf der Brachfläche zwischen Hermann-Liebmann-Straße und Bernhardi-Platz. Mittlerweile blicken wir auf zwei ereignissreiche Jahre zurück. In wenigen Worten kann man es umschreiben mit einer Kultur und Bildungsarbeit zwischen Gemüsebeeten.
Der Anfang des Projektes ist zu vergleichen mit einer Landnahme. Ein 5400 qm großer Freiraum, eine Brache und Hundewiese, stand uns zur Verfügungund wir konnten diese Fläche nach unseren Vorstellungen gestalten und nutzen. Dies taten wir mit dem Ziel einen Ort des Lernens, der Begegnung und des Austauschs im Leipziger Osten zu schaffen. In der Anfangseuphorie galt es diesen Raum urbar zu machen, das heißt wir entfernten Müll, Schutt und viel Wildfuchs. Nach und nach trat die Qualität dieses kleinen eigenen Ökosystems zu Tage. Wildpflanzen behielten ihren Platz neben alten Kulturpflanzen, welche u.a. in den angelegten Beete wuchsen. Mehr oder weniger erfahrene Gärtner bewirtschafteten diese auf biologische Art und Weise. Schon in der ersten Saison konnten wir eine reiche Ernte einfahren und der Garten bot seinen Besuchern über das Jahr neben der ökologischen, auch eine kulturelle Vielfalt.
Ein Streichquartett oder eine Dub-Party, Pflanz- und Herbstfeste mit zahlreichen Bands und Kinderangeboten, Kunst-Mit-Mach-Aktionen für Groß und Klein und nicht zu vergessen das 9-tägige Dokumentarfilmfest Flimmergarten in diesem Jahr! Auch die Bildungsarbeit fand bei uns ihren festen Ort: Ferienangebote für die Jüngeren, welche vom Lehmbau bis zum Graffiti-Workshop reichten, Weidenbau-Angebote, Wildkräuterwanderungen oder der wöchentliche Besuch einer KiTa über zwei Jahre zählen hierzu.
An dieser Stelle wollen wir darum vor allem dem Soziokulturellem Zentrum Mühlstraße 14 e.V. und insbesondere Karin Hörning, der Geschäftsführerin, für ihr Vertrauen und ihre Unterstützung danken. Ohne den Verein wären die zahlreichen Veranstaltungen nicht möglich gewesen und eine Integration der Nachbarschaft wäre schwerer gefallen. Nun haben wir die zweite Gartensaison hinter uns gebracht, die einen festen Kern an Gärtnern hervorgebracht hat.
Rückblickend erscheint uns der Querbeet-Garten als ein idealer Freiraum, der uns die Möglichkeit gegeben hat, das eigenen Lebensumfeld kreativ und positiv zu gestalten. Gleichzeitig hat er uns Problembereiche des städtischen Lebensraumes offenbart, mit denen wir sonst nie konfrontiert worden wären oder für die wir sonst nie einen Blick gehabt hätten. Der urbane Freiraum „Gemeinschaftsgarten“ zeigt seinen Wert auch oder vor allem als eine soziale Nische für Menschen, die anders leben oder leben wollen und hier einen offenen Raum vorfinden, in dem sie an einem Wachsen und Werden teilhaben können, von dem sie sich sonst ausgeschlossen sehen. Deshalb ist der Freiraum „Gemeinschaftsgarten“ nicht nur eine lebenswerte Option für Leipzig, sondern ein Muss für das städtische Leben, da der Garten ein organisches und authentisches Gesicht der Stadt und ihrer Bewohner präsentiert. Schicksale und Lebenswege werden auf positivere Art zusammengeführt, als dies im gesellschaftlichen Tagesgeschehen oder auch im herkömmlichen soziokulturellen Bereich möglich ist. Eine Stadt wie Leipzig wird gerade aufgrund dieser Freiräume in der Presse als eine attraktive und lebenswerte Stadt gefeiert. Die Entscheidungsträger der städtischen Politik müssen sich darum der Aufgabe widmen, diese Räume zu erhalten, nicht nur um des Images wegen, sondern in dem Bewusstsein, dass in den Freiräumen Gutes geschieht und Gutes geschaffen wird von den Bürgern für die Bürger dieser Stadt. Solche Freiäume müssen erhalten und die Möglichkeiten deren Nutzung vereinfacht werden.Diese Freiräume müssen auch durch eine Kofinanzierung durch die Kommune Leipzig unterstützt werden, denn sie bilden u.a. ein Aushängeschild Leipzigs.
Aber ich möchte betonen, dass die Erhaltung von solchen Freiräumen nur mit der Teilnahme der Gesellschaft möglich ist. Viele Besucher_innen, Workshopmitglieder_innen, Familien und Kinder haben sich im Gemeinschaftsgarten Querbeet wohl gefühlt, jedoch steckt hinter einem solchem Projekt viel Arbeit. Oft haben nur wenige Menschen bei Arbeitseinsätzen mit angepackt und die Arbeit lasstet auf den Schultern weniger.
Die Partizipation in unserer Gesellschaft lässt sehr zu wünschen und ehrenamtliches Tun wird wenig oder kaum honoriert. Ich plädiere hier für eine Ausweitung der Teilhabe! Dies ist auf zwei Wegen möglich und notwenig: Einerseits muss die Koordinationstätigkeit auch mit Lohnarbeit vergütete werden. Ehrenamtliche Posten müssen in Lohnarbeit umfunktioniert werden. Anderseits muss die freiwillige tatkräftige Unterstützung zunehmen. Bürger_Innen allen Alters müssen sich ihres gesellschaftlichen Verpflichtung mehr bewusst werden und vom bloßen Konsumieren zum konstruktiven Mitanpacken geführt werden. Wir wüschen und hoffen uns eine Unterstützung auf allen Ebenen damit solche Projekte nicht im Sande verlaufen.
Darum schauen wir mit Spannung unserem Neuanfang entgegen, da auf unseren Gartenfläche in der Hermann-Liebmann Staße nun bald ein Kindergarten entstehen wird. Diese Demonstration ist darum nicht nur als ein Plädoyer für mehr städtisches Grün gedacht, sondern soll auch als ein Umzugs-Fest begangen werden, mit dem wir uns der Eisenbahnstraße und seinen Bewohnern näher bringen wollen. Denn die nächste Gartensaison werden wir vermutlich hier auf der Brachfläche in der Neustädter Straße erleben dürfen. Die zweiteilung unseres Projektes auf den Bernahrdiplatz und die Neustädter Straße ist für uns leider keine zufriedenstellende Lösung. Wir werden wieter nach einer größeren Fläche suchen! Nun aber laden wir euch noch einmal zum Abschied auf die alte Fläche in der Hermann-Liebmann-Straße 15 zu Musik, Herbst-Suppe und Lagerfeuer ein!
Viel Spaß noch!